Claude Lévi‑Strauss und die strukturelle Anthropologie

Claude Lévi‑Strauss (1908–2009) gilt als Begründer der strukturellen Anthropologie – einer Methode, die kulturelle Phänomene nicht als losgelöste Einzelereignisse betrachtet, sondern als Elemente größerer, unsichtbarer Muster, die tief in der menschlichen Denkstruktur verankert sind. Anlehnend an Ferdinand de Saussure und die Prager Schule (etwa Roman Jakobson) entwickelte er die Idee, dass Mythen, Verwandtschaftssysteme, Rituale und sogar kulinarische Traditionen Teile eines universellen mentalen „Grammatiksystems“ sind – strukturierte Kombinationen von Elementen, in dem nicht das einzelne Symbol, sondern seine Beziehung im System zählt .

Im Zentrum stehen binäre Oppositionen – Gegensätze wie roh/gekocht, Leben/Tod, Natur/Kultur –, deren Vermittlung Kultur überhaupt erst formt. Lévi‑Strauss zerlegte Mythen in „Mytheme“ – elementare Einheiten, wie die Phoneme der Sprache – und analysierte ihre relationalen Muster. Seine Methode besteht aus mehreren Schritten:

  1. Beobachtung: Sammlung von Mythenerzählungen, Ritualen oder Verwandtschaftsregeln
  2. Segmentierung: in Mytheme oder relationale Einheiten
  3. Systematische Analyse: Erkennen von Oppositionen, Transformationen, Vermittlungsfiguren
  4. Modellbildung: Abstrahierung in formal-logischen Modellen, experimentell testbar als strukturelle „Grammatik“ .

Mythologie-Workshops an der École des Hautes Études (EHESS, Paris) & Universitäten in Berlin

In gemeinsamen Kolloquien suchten französische und deutsche Forschende nach strukturellen Gemeinsamkeiten in Mythen, z. B. deutschen Sagenpaaren vs. afrikanischen Erzählungen. Durch binäre Kontraste wie Gut/Böse oder Mensch/Tier wurden gemeinsame mentale Muster identifiziert – über Grenzen von Zeit und Kultur hinweg .

Kulinarischer Kulturvergleich: «Das kulinarische Dreieck»

Basierend auf Le Cru et le Cuit wurden Kochgewohnheiten aus Frankreich und Deutschland im Rahmen eines transnationalen Forschungsprojekts untersucht: raw vs. cooked wurde zu analogue: rohes Gemüse (Salat, Rohkost) vs. gekochte Eintöpfe. Dabei zeigte sich: Die französische Haute Cuisine setzt bewusst auf Transformation („gekocht“ als Kultur), während deutsche Hausmannskost Nähe zu Rohmaterial betont – doch beide bauen Strukturen kultureller Identität.

Verwandtschaftssysteme in grenznahen Regionen

In transdisziplinärer Feldforschung im deutsch-französischen Grenzgebiet (Elsass–Rheinland) untersuchte man Traditionsformen wie Hochzeit, Verwandtschaft und Hausgemeinschaft. Die Analyse zeigte, dass – trotz unterschiedlicher institutioneller Regeln – die universellen Strukturprinzipien exogamer Heiratsallianzen gelten: Männer-/Weiblichkeitsgegensätze, Pflichtehe vs. Freiheit usw. – dieselben Strukturen, nur in unterschiedlichen kulturellen Ausprägungen .


Mentale Muster und Strukturen

Deutsch–französische Forscher haben durch solche strukturalen Vergleiche gezeigt, wie selbst unterschiedliche Traditionen – ob Mythen, Küche oder Verwandtschaft – dieselben mentalen Muster global reflektieren. Dabei wird nicht nur Kultur beschrieben, sondern auch kognitive Universalien entdeckt, die das Denken selbst strukturieren.


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Hier findest du einen Vorschlag für Bildbeschriftungen zu den vier Grafiken, die sich gut in dein WordPress-Dokument einfügen lassen:


Schriftstücke

1. Strukturmodell eines Mythems nach Lévi‑Strauss
Darstellung des Abbaus eines Mythos in Mytheme und relationalen Gegensätzen („rohes/gekochtes“). – Quelle: John Curran, The Raw & The Cooked pinterest.com+4flickr.com+4theguardian.com+4

2. Familienstruktur-Analyse (Avunculat-Modell)
Skizze typischer Verwandtschaftsbeziehungen (Onkel‑Modell), häufig verwendet in Lévi‑Strauss’ anthropologischen Analysen. flickr.com+13de.wikipedia.org+13flickr.com+13

3. Kulinarisches Dreieck
Grafik zu Lévi‑Strauss’ Konzept des „culinary triangle“ (rohes – gekochtes – geräuchertes), illustriert in The Raw and the Cooked (1964). holidayrecipestocook.com+1en.wikipedia.org+1

4. Totem-Operator
Symbolisches Diagramm zur Anwendung strukturalistischer Methode in der Totem-Theorie – aus The Savage Mind.sites.google.com+2flickr.com+2en.wikipedia.org+2


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Tetje Velmede

Tetje Velmede Dipl. Sozialpsychologe (.fr) Dipl. Arbeitspsychologe (.fr)